Römerzeit

Römerzeit

Das Vordringen der Römer über den Rhein

Der römische Feldherr und Staatsmann Cäsar hatte im ersten vorchristlichen Jahrhundert Gallien, das heutige Frankreich, von den Pyrenäen bis an den Rhein erobert und es dem römischen Weltreich einverleibt. Zweimal versuchte er, auf dem rechten Rheinufer Fuß zu fassen. Diese Rheinübergänge erfolgten im Neuwieder Becken zwischen Neuwied und Engers auf Holzbrücken, die nach Ende des Vorstoßes wieder abgerissen wurden. Durch einen Wachturm, entweder auf dem Weißenthurmer oder Urmitzer Werth, wurden diese Brücken gesichert. Cäsar hatte nicht im Sinn, rechtsrheinisches Gebiet zu erobern, sondern er wollte die dort wohnenden Germanen einschüchtern. So lautet seine eigene Aussage. Achtzehn Tage lang verwüstete er zahlreiche Dörfer, Einzelhöfe und Getreidefelder und zog sich dann wieder zurück. Zwei Jahre später unternahm er einen Zug gegen die Sueben. Weil sich diese in undurchdringlichen Gebirgswäldern verborgen hatten, folgte ihnen Cäsar aus „Furcht vor Getreidemangel“ nicht und zog sich zurück. Über diese rechtsrheinischen Feldzüge berichtet Cäsar in seinem Buch über den gallischen Krieg.

In der Zeit nach Cäsar versuchte Kaiser Augustus, die Grenze des Römischen Reiches bis zur Elbe vorzuschieben. Doch seine Stiefsöhne Drusus und Tiberius scheiterten ebenso wie nach ihnen der römische Stadthalter Varus im Teutoburger Wald, wo die Römer eine vernichtende Niederlage erlitten (9 nach Chr.). Das Hermannsdenkmal erinnert an diese Waldschlacht. Der Römer Germanicus drang mehrere Jahre später nochmals weit ins germanische Gebiet ein, doch unter dem Eindruck des germanischen Widerstandes gaben die Römer ihre rechtsrheinischen Pläne auf und begnügten sich mit der Rheingrenze. Kaiser Tiberius hatte den Befehl gegeben, sich auf die Verteidigung zu beschränken und die Germanen ihren inneren Zwistigkeiten zu überlassen.

Der Limes

Doch diese Grenze mußte gesichert werden. Dies geschah durch Militärlager (Kastelle) an zahlreichen Stellen links des Rheines, später durch einen mächtigen Grenzwall. Es war der „Limes“, der sich in einer Länge von 500 km vom Rhein bis an die Donau erstreckte. Er wurde unter Kaiser Domitian in den 80er Jahren begonnen und dann unter Kaiser Hadrian weiter ausgebaut. In seinem nördlichen Abschnitt, also in unserer Gegend, bestand er aus einem hintereinander gestaffelten System von Wall, Graben und Palisadenzaun, das bis zu 20 m breit war. In den Wäldern um Niederbieber, so hinter Monrepos bei Rockenfeld, sind die Überreste dieses Grenzwalles noch deutlich zu erkennen. In kurzen Abständen war die Anlage durch 6 m hohe Wachtürme gesichert, zunächst aus Holz, später aus Stein. Fünfzig solcher Wachtürme hat es in unserem Kreisgebiet gegeben. Bei Rheinbrohl und oberhalb von Oberbieber auf dem Wingertsberg sind solche Wachtürme nachgebildet worden.

Der Limes begann am Rhein zwischen Hönningen und Rheinbrohl und verlief durch den Rheinbrohler Wald zum Jagdhaus Wilhelmsruh, über die Höhe hinter Monrepos hinunter nach Rodenbach, überschritt bei Segendorf die Wied und verlief an der Kreuzkirche vorbei über den Wingertsberg bei Oberbieber, dann durch die Wälder von Anhausen und Heimbach-Weis hinab ins Sayntal und südöstlich weiter zur Lahn. Unmittelbar am Limes wurden in größeren Abständen kleinere Kastelle, teils Erdwerke, zur Unterbringung von Wachmannschaften errichtet. Wichtiger als diese kleinen Zwischenkastelle war eine Kette von größeren festen Kastellen hinter dem Limes. Dazu gehörten u. a. die Kastelle in Heddesdorf und Bendorf, die um 90 n.Chr. errichtet wurden. Diese beiden Kastelle wurden hundert Jahre später aufgelassen, weil unter Kaiser Commodus (180-192 n.Chr.) bei Niederbieber in unmittelbarer Nähe des Limes ein neues, weitaus größeres Kastell errichtet wurde.

Das Römerkastell Niederbieber

In unserem Ort, der, weil hinter dem Limes liegend, eine Zeitlang zum Römischen Weltreich gehörte, erinnern die Straßennamen „Burgstraße“, „Römerstraße“, „Im Römerkastell“, „Ringmauer“, „Auf der alten Burg“ noch heute an das Römerkastell, dessen Bauzeit sicher mehrere Jahre in Anspruch genommen hat und dessen Fertigstellung wohl um das Jahr 190 n.Chr. anzusetzen ist.

Es lag, wie gesagt, in unmittelbarer Nähe des Limes im Bereich der genannten Straßen, hatte einen Umfang von 265 x 200 m und somit eine Fläche von ca. 5,4 Hektar. Damit war es eines der größten am obergermanischen Limes. Das Bauwerk war von Wehrbauten umschlossen, bestehend aus einer über zwei Meter breiten Umfassungsmauer mit mehreren Türmen, einem Graben davor und einem Wall dahinter. Das Nordtor war 15 m breit, und die drei anderen Tore hatten sogar eine Breite von über 20 m. Eine Hauptstraße und eine weniger breite Straße trennten Vorder-, Mittel- und Hinterlager. Die Besatzung betrug etwa tausend Mann. Aus der Badeanstalt führten Abzugskanäle zur Wied. In der Mitte lagen massiv gebaute Verwaltungsgebäude, Werkstätten und das Haus des Kommandanten. Natürlich waren auch Unterkünfte für die Legionäre, Waffenkammern und Proviantmagazine vorhanden. Noch im vorigen Jahrhundert wurden hier Weizen- und Gerstenkörner gefunden.

Ritterling
Grundriß des Lagers Niederbieber (Ritterling)


Im Gegensatz zu anderen Kastellen hat vermutlich bei dem Niederbieberer Kastell eine ausgedehnte Zivilniederlassung bestanden, die aber nicht als Ursprung unseres Ortes betrachtet werden darf. Als in den sechziger Jahren das Pfarrwäldchen hinter dem evangelischen Pfarrhaus abgeholzt wurde und neue Bäume angepflanzt werden sollten, fand man bei der Rodung (Bimsabbau) Grundmauern von Häusern aus der Römerzeit. Bei einem war deutlich die in Schächten vom Keller aus nach oben führende Fußbodenheizung zu sehen.

Merkur-Relief aus Niederbieber
Merkur-Relief aus Niederbieber (Hundeshagen)


In einem anderen Kellerraum dieses Hauses fand man ausgezeichnet erhaltene Amphoren, d.h. Vasen in Form eines Kruges, in denen vermutlich Wein aufbewahrt wurde. Es darf angenommen werden, daß dieses Gebäude die oder eine Taverne (Kneipe) war, in der die Legionäre ihre Freizeit verbrachten. Das Vorhandensein dieser formschönen Gefäße läßt darauf schließen, daß das Haus von den Bewohnern wahrscheinlich Hals über Kopf geräumt wurde, als im Jahre 259 n. Chr., also 70 Jahre nach der Fertigstellung, das Kastell von den Franken vermutlich in der Nacht überfallartig gestürmt und nach erbittertem Kampf zerstört wurde.

Der Name des Kastells steht nicht fest. Manche Forscher meinen, es habe „Victoria“ geheißen. Darauf deutet die Inschrift eines Fundes hin, einer im Jahre 1791 im Abwasserkanal des Kastellbades gefundenen, 33 cm hohen Bronzestatuette.

Genius
Genius einer britischen Einheit im Lager Niederbieber. Auf dem Fundament ist als Ortsname „Victoria“ eingemeißelt. (Dorow)


Nach der Zerstörung des Kastells hat das mächtige Mauerwerk als willkommener Steinbruch bei der Errichtung von Gebäuden gedient. Ansehnliche Mauerstücke wurden aber noch in den 60er Jahren unseres Jahrhunderts gefunden, und bei der Bebauung des einstigen Kastellgeländes mit Wohnhäusern fand man beim Ausschachten neben Tonscherben auch gut erhaltene Gefäße, Schmuck, Münzen u. a. Bemerkenswert ist der 1966 im Bereich der Lagersiedlung am Weidenweg gemachte Fund eines an ein Krokodil erinnernden, 30 cm langen Drachenkopfes aus getriebenem Kupferblech als Teil einer römischen Reiterstandarte aus dem 2. Jahrh. n. Chr.

Drachenstandarte
Die berühmte, 1974 in Niederbieber gefundene Drachenstandarte, die einer Reitereinheit gehörte.


Es nimmt nicht wunder, daß unser Kastell wissenschaftliches Interesse fand. Auf Veranlassung der Fürstin Louise zu Wied im Jahre 1791 haben der Ingenieur-Hauptmann Hoffmann und sein Nachfolger Dr. Dorow das Kastell gründlich durchforscht und Ergebnisse erzielt, die in der wissenschaftlichen Welt Aufsehen erregten. Zwischen 1897 und 1909 ließen die Reichs-Limes-Kommission und die Provinzialverwaltung der Rheinprovinz hier weitere Forschungsgrabungen vornehmen, wobei ebenfalls Funde gemacht worden sind. Das Interesse an unserem Kastell war nachhaltig. Es wird berichtet, daß, als in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts Kaiser Wilhelm II. plante, ein Römerkastell wieder aufbauen zu lassen, das Niederbieberer Kastell mit zur Wahl gestanden habe. Doch entschied man sich schließlich für den Wiederaufbau des Kastells Saalburg bei Bad Homburg v. d. H.

Signumscheibe
Signumscheibe der VII Cohorte, Lager Niederbieber (Hoffmann)

Tacitus und die Germanen

Der römische Schriftsteller Tacitus hat in seinem Buch „Germania“ die Germanen ausführlich geschildert und viel Rühmliches über sie ausgesagt im Gegensatz zu den verkommenen Sitten Roms. Den Cheruskerfürsten Hermann oder Arminius, wie ihn die Römer nannten, bezeichnete er als den „Befreier Germaniens, einen Mann, der das Römerreich in der Zeit seiner höchsten Macht herausgefordert hat, in einzelnen Kämpfen nicht immer erfolgreich, aber unbesiegt im Kriege“. Ein anderer Römer urteilte über die Teutoburger Schlacht: „Diese Niederlage hatte zur Folge, daß das Römerreich, das an den Gestaden des Ozeans nicht hatte haltmachen wollen, nunmehr am Ufer des Rheinstromes zum Stillstand kam.“

Ob die alten Deutschen auf Bärenhäuten lagen und immer noch eins tranken, muß bezweifelt werden. Doch wird dieses längst widerlegte Märchen immer wieder aufgetischt. In der Burschenherrlichkeit des vorigen Jahrhunderts verfaßte ein fröhlicher Student das Lied von Tacitus und den alten Deutschen, das uns schmunzeln läßt:

An einem Sommerabend, im Schatten des heiligen Hains,
da lagen auf Bärenhäuten zu beiden Seiten des Rheins
verschiedene alte Germanen, als plötzlich mit höflichem Gruß
ein Römer kam: „Meine Herren! Ich heiße Tacitus.
Von Ihres Volks Gebräuchen schreib ich eine Biographie,
drum komm ich, Sie zu bitten, erklären Sie mir die“.
Da schwiegen die alten Deutschen und reichten ihm einen Krug,
draus trank der edle Römer, rief bald: „Jetzt hab ich genug“.
Da lachten die alten Deutschen auf beiden Ufern des Rheins
und ließen ihn spinnen und trinken ein Glas und immer noch eins.
Und als er am andern Morgen sich seinen Jammer besah,
da schrieb er aus Wut und Rache in die Germania:
„Die alten Deutschen, sie wohnen auf beiden Seiten des Rheins,
sie liegen auf Bärenhäuten und trinken immer noch eins“.

Nachwirkung der Schlacht im Teutoburger Wald. Den Deutschen, die sonst kein besonderes Verhältnis zu ihrer Geschichte haben, ist durch die Jahrhunderte hindurch die Schlacht im Teutoburger Wald im Gedächtnis geblieben und hat sogar noch im 19. Jahrhundert zur Errichtung des mächtigen Hermannsdenkmals im Teutoburger Wald geführt, das aus nah und fern rege besucht wird. Auch in der deutschen Dichtung gibt es zahlreiche Zeugnisse der Verehrung für den Befreier Deutschlands aus römischem Machtstreben. Anfang des 16. Jahrhunderts pries der von Kaiser Maximilian mit dem Lorbeer bekränzte Dichter, Humanist und Ritter Ulrich von Hutten in einer begeisterten Dichtung Arminius (Hermann) als Retter des Vaterlandes und Wiederhersteller der deutschen Freiheit. Heinrich von Kleist, neben Friedrich Schiller Deutschlands bedeutendster Dramatiker, schuf während der napoleonischen Fremdherrschaft und Unterdrückung sein gewaltiges Drama „Die Hermannsschlacht“ und rief damit zur Befreiung vom napoleonischen Joch auf. Ebenfalls im vorigen Jahrhundert, doch in ganz anderer, fröhlicher Weise hat Viktor von Scheffel die Teutoburger Schlacht besungen. Zur Erheiterung seien einige Strophen dieses Liedes genannt:

Als die Römer frech geworden, sim serim sim sim sim sim,
zogen sie nach Deutschlands Norden, sim serim sim sim sim sim,
vorne mit Trompetenschall te-rä-tä-tä tä-te-rä,
ritt der Generalfeldmarschall, te-rä-tä-tä tä-te-rä,
Herr Quintilius Varus, wau, wau, wau, wau, wau,
Herr Quintilius Varus, schnä- de- räng- täng- schnä- de- räng- täng,
schnäde- rängtäng, schnä- de- rängtäng- de- rängtängtäng.
In dem Teutoburger Walde, sim serim sim sim sim sim, huh!
Wie pfiff der Wind so kalte, sim serim sim sim sim sim.
Raben flogen durch die Luft, und es war ein Moderduft, terätätä,
wie von Blut und Leichen, wau, wau, wau, wau, wau,
wie von Blut und Leichen. Schnäderäng täng.
Plötzlich aus des Waldes Duster
brachen kampfhaft die Cherusker,
mit Gott für Fürst und Vaterland
stürzten sie sich wutentbrannt auf die Legionen.
Weh, das ward ein großes Morden,
sie erschlugen die Kohorten,
nur die römische Reiterei rettete sich noch ins Frei,
denn sie war zu Pferde.
O Quinctili, armer Feldherr,
dachtest du, daß so die Welt wär?
Er geriet in einen Sumpf,
verlor zwei Stiefel und einen Strumpf
und blieb elend stecken.
Da sprach er voll Ärgernussen
zum Centurio Titiussen:
„Kameraden, zeuch dein Schwert hervor
und von hinten mich durchbohr
da doch alles futsch ist.“
Als die Waldschlacht war zu Ende,
rieb Fürst Hermann sich die Hände,
und um seinen Sieg zu weihn,
lud er die Cherusker ein
zu ’nem großen Frühstück.
Hui, da gab’s westfälischen Schinken,
Bier, soviel man wollte trinken;
auch im Zechen blieb er Held,
doch auch seine Frau Thusneld
trank walkürenmäßig.
Nur in Rom war man nicht heiter,
sondern kaufte Trauerkleider;
grade als beim Mittagsmahl
Augustus saß im Kaisersaal,
kam die Trauerbotschaft.
Erst blieb ihm vor jähem Schrecken
ein Stück Pfau im Halse stecken,
dann geriet er außer sich und schrie:
„Virus, Fluch auf dich,
redde legiones!“ (gib mir meine Legionen zurück!)
Sein deutscher Sklave, Schmidt geheißen,
dacht: Ihn soll das Mäusle beißen,
wenn er sie je wieder kriegt,
denn wer einmal tot daliegt, wird nie mehr lebendig.

 

Quellen:

Heimatchronik des Kreises Neuwied (1966)
150 Jahre Amt Niederbieber-Segendorf 1817 -1967 (1967)
Albert Meinhardt: Neuwied Einst und Heute (1978)

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