Kindheit Anfang der Fünfziger Jahre
Rückbesinnung auf meine Kindheit
von Anita Trostel
Ausgelöst durch die immer wieder aufkommenden Diskussionen, wieviel Kinderlärm zumutbar, wo spielen erlaubt oder wo verboten ist, wo, wann und welche Freizeiteinrichtungen erforderlich sind, und, und, und, habe ich nochmals meine eigene Kindheit Anfang der Fünfziger Jahre in der „Ahle Schullstroaß“ und in der „neije Kolonie“ Revue passieren lassen.
Was haben wir gespielt und waren wir aktiv bis zum Umfallen im positiven Sinne.
Vor Ostern ging es „med em Respelsche off Michelsheck Ustermoos roppe fier e Usternestje“. Das wurde dann unter Zuhilfenahme von Stöcken zu einem Prachtbau gestaltet, in das der „Usterhas“ dann die Eier legte. Wenn er es ganz gut meinte, dann war noch ein Papp- oder Schokoladenhase dabei. Manchmal versteckte er die Eier auch im gesamten Hof und alle, auch die Erwachsenen, gingen auf Suche.
Den „Usterspaziergang“ machten wir dann in den „Lonzebersch“ zwischen Segendorf und Altwied. Hier hatte der Osterhase doch tatsächlich Eier verloren, die wir dann zufällig fanden.
Am „Maifeierdaach“ machte mein Opa alljährlich mit mir eine Maitour in den „Buchlieh“ (Buchlöh in Oberbieber). Er holte einen Maistock aus der Heck und mich überlief ein ängstlicher Schauer, wenn ich auf ihn wartete und plötzlich raschelte ein Fasan im Gebüsch. Vom Stock wurde die Rinde zu einer Verzierung abgeschält, wenn schon vorhanden, Maikräuter drangebunden und dann ging es über Melsbach wieder heim.
Dann kam Fronleichnam und für uns Mädchen die Zeit Blumen zum Streuen bei der Prozession zu pflücken. Die „Wisse henner em Wissegaadeweesch“ (hinter Firma Werhand) waren da das geeignete Revier. Wenn der Blütenflor aber nicht ausreichte, waren „Hannageedsche“ (Hanna Bretz in der Alten Schulstraße) und ihr wunderbarer Garten die Rettung. Da gab es dann noch Schneeballen, Pfingstrosen und Lupinen, die den Korb wunderbar bereicherten.
Bald war auch die „Biewere Kärmes“ da, es gab „en neij Kärmesklääd“ und von „Omma, Obba, Padde un Geedsche“ „Kärmesgeld“. Wie waren wir aufgeregt, wenn unter Böllerkrachen und Glockengeläut die „Bosche med de Kärmes-beem“ und „Zweizweienhalfsiwwe“ – Rufen in den Ort einzogen, um dann später an „de Burääsch de Kärmes“ (Bureiche) auszugraben.
In den Ferien waren „de Mischelsheck (zwischen Alte Schulstraße und Römerstraße) de Wissegaade un die Dicksgass“ (Alte Schulstraße) unser Revier für „Verstoppschens, Heppschens, Noaläfjes, Ball gän die Wand, Räijwer un Schanditz“ und wie die Spiele alle hießen.
„Dat Eisfähnsche beij Kleinmanns am Laade“ (jetzt Pizzeria in der Aubach-straße) versprach die Aussicht auf ein Eis. Ich mußte bei Oma und Opa nur oft genug erwähnen, „dad isch em die Eck iguggt han und dadd ed Fähnsche drauße es“. Meist gab es dann „en Grosche“, und die Glückseligkeit war perfekt.
„Em Strandbad am Steesch“ (heute Altentagesstätte) verbrachten wir viele schöne Sommertage. Die ganz Mutigen wagten „en Käppert vom Sprungbreet“ oder machten „de duude Mann“.
Wenn die „Dreschmaschinn“ kam, wußten wir, daß der Herbst nicht mehr weit war und dann ging es mit ins Feld zum „Kadoffele raffe“. Wir Kinder mußten irnmer die „klääne Säijskadoffele“ sammeln, das war eine harte Geduldsprobe, denn es dauerte lange bis die kleinen Kartoffeln „en gruuße Mahn“ gefüllt hatten. Um so schöner war dann die Kaffeepause „med Mameladesteck un Melischkaffi“. Zum guten Schluß gab es dann noch die „em Kadoffelsstrieh ibroadene Kadoffele“. Über dem ganzen Ort lag der Duft von verbranntem Kartoffelstroh, und das gehörte für mich zum Herbst.
Der Herbst war aber nicht nur mit Arbeit verbunden, wir bastelten „Reeweisischter“ und bauten „Stuusvischel“. Hierfür holten wir „beij Schmidts Inge (Firma Wendt) oder Baiersch Madda“ (Martha Runkel, jetzt Fahrschule) Packpapier und „beij Berjersch en de Schreinereij Lättscher“ (Schreinerei Engel). Dann sind wir am Tag „of de weisse Bersch“ (Tennisplätze) und „han den Stuusvuchel steije losse“ und am Abend zogen wir „doarsch ed Dorf med de Reeweisischter“.
In der „neije Kolonie“ (Rasselsteiner Siedlung) haben wir auf dem freien Platz im Marienborn „Laubhäisjer ibaut“. Die Lindenbäume gaben uns reichlich Material. Wir zeichneten mit dem Laub Grundrisse und Möbel und spielten dann „Modderschens und Vadderschens“. Wir waren eine große Spielfamilie, und es ging recht turbulent zu.
Dann kam der Winter, und in meiner Erinnerung gab es da meistens viel Schnee. „Dicks Gass“ war eine beliebte Rodelbahn. Wir banden viele Schlitten hintereinander und fuhren etwa ab „Böhmersch“ (Haus Nr. 8) in einem langen Bob bis zur Friedrich-Ebert-Straße (heute Aubachstraße). Oft landeten wir aber auch an der Mauer vom „Gässje“ (Verbindung zwischen Alter Schulstraße und Melsbacher Straße) und mancher lief heulend „med em Dutz am Kopp“ nach Hause.
War der Schnee auf „Dicks Gass“ nicht mehr für die wilde Fahrt geeignet, dann verzogen wir uns auf „Michelsheck in Freunds Gaade“ (früher Bauer Fritz Freund). Da war es dann nicht so steil und schnell, dafür war der Schnee aber noch besser.
„Saarsch Max“ (Obst und Gemüse Max Saar aus Neuwied) kam mit dem „Imeeswaache“ und es gab, weil es Winter war, eine Apfelsine oder eine Banane als Besonderheit. Ansonsten wurden die „Äppel aus em Keller“ gegessen.
Und dann kamen bald „de Nikkeloas un ed Chreskinsche“ und da hieß es brav sein „sonst geft et nix“. Damit die Zeit schneller verging und das Bravsein nicht so schwer fiel, habe ich mit meiner Oma „Plätzjer ibacke“ und ich habe Weihnachtsgedichte geschrieben. Und dann war „Heilisch Omend“. Wir hatten meist „e schien Beemsche“ und die Geschenke waren der damaligen Zeit angemessen. Die „Noabaschleijt komen et Beemsche gugge und ed woad vazehlt.“ Wir Kinder spielten mit unseren Geschenken und bei meinen Brüdern war die Eisenbahnlokomotive meist schon am ersten Feiertag kaputt, weil sie wissen wollten wie sie von innen aussieht.
Aber auch die Technik hielt schon Einzug ins Dorf. „Beij Ullnersch“ (Elektro Ullner) drückten wir uns am Schaufenster die Nase platt, um im Fernsehen Clemens Wilmenroth bei seiner Kochsendung und die Harlem Globetrotters beim Basketball zu bewundern. Als dann die Krönung von Königin Elisabeth von England im Fernsehen übertragen wurde, saßen wir „beijm Kappes“ (Gasthof zur Aubach) und sahen und staunten.
Für die Fußballweltmeisterschaft 1954 war „em gruuße Saal beijm Kappes“ ein Fernseher aufgestellt und der Saal war brechend voll. Dafür war der Kirmesplatz, obwohl Kirmes war, gähnend leer. Nach dem Sieg liefen alle Männer mit abgeschnittenen Krawatten durchs Dorf und feierten tüchtig die Kirmes und den Weltmeister.
Das Schöne war, daß wir Kinder mittendrin sein durften und Jung und Alt zusammen waren.
Das war die Rückbesinnung auf meine Kindheit Anfang der Fünfziger Jahre im Jahreslauf. Die Vergangenheit hat zwar manches verklärt, aber ich denke, damals Kind zu sein war sehr schön.
*) „oa“ ist ein Vokal, der zwischen o und a steht, ähnlich gesprochen wie das o in Koch